Meine heutige Überschrift ist womöglich provokant. Hashtags wie #stayathome oder #bleibzuhause haben gerade Hochkonjunktur. Keine Frage, wer mit Husten und Fieber geplagt ist oder gerade eine Therapie bekommt, die das Immunsystem beeinträchtigt, sollte in der aktuellen Zeit zu Hause bleiben.
Aber das „Zuhausebleiben“ bei Infektzeichen und Ansteckungsgefahr war gerade in den letzten Jahren nicht unbedingt en vogue. Den Frisörbesuch oder Zahnarzttermin bei Infektzeichen abzusagen, kam nur den wenigsten in den Sinn. Wir haben verlernt, auf andere Rücksicht zu nehmen. Ich weiß, wovon ich rede.
Nun werden wir aufgefordert, als ganze Nation zu Hause zu bleiben. Viele schließen sich dieser Forderung an und posten fleißig auf den Social Media Plattformen unter dem Hashtag #bleibzuhause, wie man sich in den eigenen vier Wänden die Zeit vertreiben kann. Nicht selten stößt man dabei auf stimmungsvolle Bilder mit großen Gärten, geräumigen Balkonen oder Wohn- und Essbereichen. Und man hat natürlich einen Hund, der muss ja auch mal ums Eck.
Gerade in den Städten sieht die Realität anders aus. Hier leben aufgrund hoher Mieten Familien und ältere Menschen oft auf engstem Raum. So ein „Stay-at-home-Koller“ ist da meist vorprogrammiert. Die Fallzahlen für familiäre Gewalt und Depressionen steigen. Ein Aufruf zum „Zuhausebleiben“ kann im Einzelfall fatal enden.
Auch der Inhaberin des kleinen Blumenladens um die Ecke ist es nicht mehr wirklich zu vermitteln, warum sie und ihre Angestellten nun zu Hause bleiben müssen, während der Baumarkt am Ort Blumen und Pflanzen verkaufen darf.
Nach neuestem wissenschaftlichen Stand ist ziemlich sicher, dass sich das Coronavirus über Tröpfcheninfektion ausbreitet. Es spricht also nach aktuellen Kenntnissen nichts dagegen, dass sich Menschen im Freien aufhalten, spazieren gehen oder Fahrrad fahren. Selbst für die ältere Bevölkerung ist ein Rundgang auf weniger belebten Fuß-oder Waldwegen wesentlich besser für die Gesundheit und den Geist, als im Sessel zu Hause und vor dem Fernseher den Tag abzuwarten.
Was mir persönlich zusätzlich Sorge macht, ist der Umstand, dass soziale persönliche Kontakte für unser menschliches Wohlbefinden überaus wichtig sind. Einsamkeit macht krank. Wir Menschen brauchen die Nähe und die Fürsorge anderer Menschen wie die Luft zum Atmen. Es ist ein fast unerträglicher Gedanke, dass in diesen Tagen alte Menschen einsam sterben oder angehende Mütter ihre Babys allein auf die Welt bringen müssen.
Bei allem Respekt vor Covid-19 und den Folgen dieser Erkrankung sollten wir bei all unserem Aktionismus auf Verhältnismäßigkeit achten. Wenn unsere Gesellschaft lernt, wieder aufeinander Rücksicht zu nehmen, wäre schon viel geholfen. Dann bräuchte es auch keiner Ausgangssperre und ähnlicher drakonischer Maßnahmen mehr.
Frei muß ich denken, sprechen und atmen Gottes Luft,
Adelebert von Chamisso
Und wer die drei mir raubet, der legt mich in die Gruft.
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